Tiefgreifende politische, ökonomische, technologische kulturelle und ökologische Veränderungen nehmen global Einfluss auf Gesellschaften. Die Pandemie haben Begleiterscheinungen wie Verschwörungstheorien noch einmal verstärkt. Welche Ursachen dem zugrunde liegen und welche Aufgabe vor uns liegt, erläutert DeGeDe-Mitglied Michael Rump-Räuber in diesem Kommentar.

Wir leben in einer globalen Umbruchperiode. Diese Umbruchperiode ist gekennzeichnet durch tiefgreifende politische, ökonomische, technologische kulturelle und ökologische Veränderungen. Die Folge dieser Veränderungen sind gesellschaftliche Chancen aber auch Konflikte und Spaltungen, die zu einem Anstieg demokratiefeindlicher Ideologien führen. Dazu gehören insbesondere Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Homophobie.

Alte Feindbilder werden konserviert und neue Feindbilder entwickelt. Ein angeblicher Konflikt zwischen sogenannten „kosmopolitischen Eliten und dem Volk“ steht im Mittelpunkt. Das gemeinsame gesellschaftliche Fundament der Demokratien weltweit beginnt zu bröckeln und es ist umso wichtiger, dass wir uns wieder darauf verständigen was die demokratische Gesellschaft zusammenhält. Es geht um das gemeinsame demokratische Wertefundament oder um „Demokratie als Wert“, wie Wolfgang Edelstein sagen würde.

Mit der Corona Pandemie hat sich diese Situation verschärft. Deutschland steht mit den Auswirkungen dieser Epidemie vor der stärksten Rezession der Nachkriegszeit. Anfang Mai ging die Bundesregierung von über 7 Millionen Kurzarbeitern aus und ca, 3,55 Millionen Erwerbslosen. Hinzu kommt der weltweite Zusammenbruch internationaler Produktionsketten. Vor diesem Hintergrund nehmen im Netz und bei Aktionen auf der Straße sogenannte Verschwörungsmythen zu. Da werden drohende Zwangsimpfungen beschworen, Viren aus irgendwelchen Geheimlaboren herbeigezaubert, dunkle Drahtzieher am Horizont ausgemacht: die Weltgesundheitsorganisation, Bill Gates oder gleich in bekannter antisemitischer Form „die Juden“. Diese Verschwörungsmythen werden verknüpft mit apokalyptischen Phantasiegemälden von einer Fremdherrschaft und einer drohenden Corona Diktatur als Herrschaft der Virologen.

Die Ursachen für das verstärkte Auftreten dieser Verschwörungsmythen sind vielfältig: Aus der Anfälligkeit für simple Erklärungsmuster und einer fehlenden Faktendimension (niemand kennt den weiteren Ablauf der Corona Krise) entsteht in Abgeschlossenheit von der Realität ein eigenes komplexes Weltbild. Die Realität wird immer wieder an dieses komplexe Weltbild angepasst. Jedes Widerlegen einer Verschwörung wird in den Mythos eingebaut. So werden natürlich medizinische Erkenntnisse nur angenommen, wenn sie zum Mythos passen.

Abstraktes, komplexes Denken ist für einen Verschwörungsmythologen nicht möglich, z.B. die Tatsache, dass erst durch den konsequenten Lock- Down in Deutschland eine katastrophale Lage verhindert wurde, wird umgedreht und der Lock- Down zur katastrophalen Lage erklärt mit dem Hinweis, dass er ganz gezielt zu anderen Zwecken betrieben wurde. In diesem Sinne funktioniert das Weltbild wie eine Wahnstruktur, welches natürlich durch die Zustimmung und Masse gerade in sozialen Medien verstärkt wird. Dieses „ich habe den Durchblick“ Gefühl trägt zu einer gigantischen Omnipotenz, Phantasie und Steigerung des eigenen Egos bei.

Untersuchungen zeigen, dass Menschen vor allem dann Verschwörungstheorien zuneigen, wenn sie das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. In einer immer komplexer werdenden Welt scheint sich das Gefühl des Kontrollverlusts unabhängig von der sozialen Lage zu verstärken. Verschwörungsmythen reduzieren komplexe Sachverhalte auf einfache Deutungen und suggerieren Sicherheit .Sie locken mit dem Reiz des Geheimnisvollen und schaffen Erklärbarkeit. Verschwörungsmythen befriedigen das Bedürfnis nach einer Einteilung in Gut und Böse und liefern Schuldige. Sie bedienen sich insbesondere des Antisemitismus.

Der Widerstand gegen die Corona Gesetze ist erheblich breiter als die Gruppe der Verschwörungsmythologen. Er geht bis in die Mitte der Gesellschaft. Obwohl noch in allen Umfragen eine solide Mehrheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger die Bundesregierung und die demokratischen Parteien unterstützt gibt es in Teilen der Gesellschaft ein Gefühl der Verunsicherung, Überforderung und Frustration in den unterschiedlichen Lebenslagen. Diese Verunsicherung und Angst wird insbesondere in „social media“ Seiten radikaler Impfgegner, rechtsradikaler Wutbürger oder, “esoterischer Wahrheitskrieger“ aufgegriffen, die sich bei „YouTube“ und „ Telegram „einer wachsenden Zahl von Abonnenten erfreuen.

Das Gefährliche dabei ist die Herstellung von Feindbildern und Sündenböcken. An der Spitze der gegenwärtigen Feindbilder steht Bill Gates. Der Milliardär, der sein Vermögen zum Kampf gegen Krankheiten wie Malaria nutzt und schon rechtzeitig vor den Gefahren einer Pandemie gewarnt hat, hat den Verschwörungsmythen zufolge ganz andere Motive. Gates soll planen, mit dem Impfstoff einen Kontrollchip in die Menschen einzupflanzen, mit dem er dann ihre Gedanken steuern kann. „Es ist auf eine Weise so bizarr, dass man es fast witzig finden könnte. Aber ich schätze, es ist eigentlich nicht besonders komisch“, erklärte Gates laut der „New York Post“. Und stellte klar: „Ich habe nie mit irgendeiner Art von Mikrochip zu tun gehabt.“  „Diese Fehlinformationen sind einfach so seltsam“, gestand Gates. „Ich kenne niemanden, der mit sowas zu tun hat, daher fehlt mir ein direkter Draht, sie zu verstehen.“

Diese Feindbilder knüpfen insbesondere an antisemitische Welterklärungsmodelle an. Das Stereotyp der jüdischen Konspiration und Verschwörung taucht immer wieder auf. Die jüdische Kontrolle von Politik, Medien und Finanzwelt am Beispiel von Feindbildern wie Soros oder Rothschild wird immer wieder mobilisiert. Gleiches gilt für die absurde Unterstellung Israel habe das Virus geschaffen, um mit einem Impfstoff Geld zu verdienen. Dabei kommt es immer wieder zu Vergleichen und der Relativierung des Holocaust, sichtbar an sogenannten  „ Judensternen“ oder Losungen wie „ Maske macht frei“. Am zweiten Mai dieses Jahres trug bei einer Corona Demonstration in Augsburg ein Demonstrant ein Schild in der eine angebliche Schrittfolge zur Veränderung der Gesellschaft aufgezeigt wurde. Es heißt auf dem Schild:“ Erstens Notstandsgesetze, Zweitens Gleichschaltung der Medien, Drittens Diktatur und schließlich Viertens die Endlösung Impfstoff.“

Wie der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke schreibt:“ Ein punktuelles Unbehagen an einzelnen Fragen wie der Impfthematik kann dann umschlagen in eine neue Systemfeindschaft. Und aus einer Menge von ausgemachten Individualisten kann durchaus ein Extremismus nicht der Mitte, aber aus der Mitte hervorgehen, der sich als radikale Politik-und Politikerverachtung artikuliert. Eine solche Entgrenzung des Extremismus, dessen Positionen in der Krise bis in bürgerliche Kreise hinein anschlussfähig werden, hätte für das gesamte Verhältnis von Bürger und Staat, Gesellschaft und Politik fatale Folgen:“

Die Auseinandersetzung mit den Verschwörungsmythen bleibt eine ständige Aufgabe der Demokratiepädagogik. Dabei gibt es gute Ansätze in den Materialien des Bildungsprogramms „ Hands across the campus“ und diversen Ausarbeitungen der Amadeu Antonio Stiftung.

Autor*in

Michael Rump-Räuber ist ausgebildeter Studienrat in den Fächern Geschichte und Politische Bildung und machte 2010 seinen Master of Arts in den Bereichen „Schulentwicklung und Qualitätssicherung“. Er war Projektleiter im Modellversuch „Demokratie leben und lernen“ der Bund-Länder-Kommission sowie in verschiedenen Programmen der Werteerziehung, wie „Aktiv gegen Antisemitismus“. Michael Rump-Räuber arbeitet in den Beiräten „Schule der Vielfalt“ sowie der Deutsch-Israelischen Gesellschaft mit und ist Mitglied im Beirat „Werteerziehung“ des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg. Er arbeitet als Referent am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) für den Bereich „übergreifende Themen in der Schulentwicklung“.